Im März 2022 wurde im Europäischen Transsonischen Windkanal in Köln die dritte Messkampagne der FOR 2895 durchgeführt. Sie hatte die Erfassung von Strömungsfeldern in der Umgebung des XRF1-Modells ohne UHBR-Gondeln im Bereich des High-Speed Stall zum Inhalt, was durch gezielte Anpassung und Anwendung der kryogenen Particle Image Velocimetry („cryoPIV“) erreicht wurde. Die Messungen wurden von einem Team des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) (Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik, Abteilung für Experimentelle Verfahren, Kontakt: Dr. Lars Koop, geplant, vorbereitet und durchgeführt mit dem Ziel die bisherigen Messungen an dieser Konfiguration, die im Rahmen der ersten Kampagne 2020 mittels drucksensitiver Farbe (PSP) erfolgten, durch Strömungsfelddaten zu erweitern.
Particle Image Velocimetry (PIV) ist ein berührungsloses, nicht-invasives optisches Messverfahren, das die Erfassung instantaner Geschwindigkeitsfelder insbesondere turbulenter Strömungen ermöglicht. Hierzu werden dem Arbeitsfluid kleine Partikel („Impfpartikel“) beigemischt, welche der Strömung folgen. Sie werden mit einem Lichtschnitt von gepulstem Laserlicht beleuchtet, wobei in der Regel Hochleistungslaser mit Pulsdauern im Nanosekunden-Bereich eingesetzt werden. Die kurzen Pulsdauern erlauben es, unter Verwendung von „fast interframe“ oder auch Hochgeschwindigkeitskameras, Momentaufnahmen der beleuchteten Partikel zu erstellen. Durch Analyse der Verschiebung der Partikelbilder aufeinander folgender Bilder mittels lokaler Kreuzkorrelation können schließlich komplette Geschwindigkeitsfelder bestimmt werden. Die erfolgreiche Anwendung von PIV unter kryogenen Bedingungen ist mit einer Vielzahl spezifischer Herausforderungen verbunden, die durch Entwicklung maßgeschneiderter optischer Module und Experimentalaufbauten adressiert werden müssen.
Es kamen zwei verschiedene PIV-Systeme zum Einsatz, und zwar ein Hochgeschwindigkeits-Stereo-System sowie zwei neuartige „triple-frame“ Stereo-PIV-Systeme. Sie erlauben die Erfassung aller Geschwindigkeitskomponenten sowie der Geschwindigkeitsspektren in einer Vielzahl von aus der Ferne ansteuerbaren und justierbaren Blickfeldern. Der entsprechende Experimentalaufbau umfasst sechs PIV Kameras mit fernsteuerbaren Kamera-Adaptern, sechs Hochleistungs-Lasersysteme mit fernsteuerbarer Strahlführung, zwei fernsteuerbare Lichtschnitt-Optiken sowie ein speziell entwickeltes System zur Erzeugung mikroskopischer Eiskristalle als Impfpartikel. Im Ergebnis konnten die instationären Strömungsfelder in der Nähe eines detailgetreuen Passagierflugzeug-Modells mit bislang unerreichter räumlicher und zeitlicher Auflösung unter realistischen Flugbedingungen bis an die Grenzen des Flugbereichs erfasst werden.
Das Messprogramm umfasste Anströmbedingungen bei zwei unterschiedlichen Mach- und Reynolds-Zahlen sowie den dazugehörigen, vordefinierten Anstellwinkeleinstellungen. Es wurden mehrere PIV-Fokusebenen gemessen, die zuvor von den Forschern auf der Grundlage von Messdaten aus dem ersten Testeintritt und numerischen Simulationen definiert worden waren. Dazu gehörten Ebenen auf der Oberseite des Flügels zur Erfassung von Stoßschwingungen und Strömungsablösungen sowie mehrere Ebenen zwischen Flügel und Höhenleitwerk, die hintereinander in einer Reihe in stromabwärtiger Richtung angeordnet sind, um die Entwicklung des abgetrennten Nachlaufs des Flügels vor dem Auftreffen auf das Höhenleitwerk zu erfassen.
Der umfangreiche Datensatz an Strömungsfelddaten, die bei den Messungen gewonnen wurden, wird zusammen mit den wertvollen Daten aus den PSP-Messungen der ersten Messkampagne den Forscherinnen und Forschern der FOR 2895 helfen, die Phänomene des High-Speed Stall genauer zu analysieren und zu verstehen.
Kontakt | Johannes Kleinert, Institut für Aerodynamik und Gasdynamik (IAG), Universität Stuttgart Johannes Bosbach, Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik (IAS), DLR Göttingen |
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